Erpan
Literotica Guru
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Nein, er war nur durch und durch der Marquis, ein Adliger, der sowieso Dank der Geburt, sich mehr herausnehmen konnte als die Normalsterblicher jener Zeit. Er saß zwar im Gefängnis, aber nicht wegen seiner Schriften, sondern weil er zwei Dirnen die Spanische Fliege gab und sie angeblich zu Gruppensex und Analverkehr zwang. Seine pornografisch/philosophischen Schriften verfasste er größtenteils im Gefängnis - weil er dort sexuell enthaltsam leben musste?Ich denke, dass de Sade überhaupt von Moral entweder nichts hielt oder sich selbst als davon aussenstehend betrachtete.
Ja. Aber er war nicht nur gegen die Todesstrafe, sondern auch gegen Kirche. Er war Atheist und Sozialist, und das schon bevor es diesen Begriff gab.Positiv daran ist, dass er gegen die Todesstrafe war.
Das ist die typische Gleichsetzung des Autors mit seinem Werk. Sicher war de Sade kein Kind der Traurigkeit, aber die Orgien in seinen Werken waren reine Fantasie.Sein Werk "Die 120 Tage von Sodom" ist aber, zumindest aus meiner Sicht, eher ein guter Grund, die Libertinisten zu dämonisieren und für Moral einzutreten. Denn nur die Moral gibt den Opfern dieses Libertinismus - der sich ja, denke ich mal, nicht nur auf die Fantasie beschränkte, sondern früher oder später auch angewendet wurde, so dass er mit Sicherheit auch seine Opfer forderte - die Bedeutung, die ihnen angemessen ist.
Man muss dabei bedenken, dass das sogenannte einfache Volk im damaligen vorrevolutionären Frankreich und Europa aus Leibeigenen bestand, d.h. so gut wie rechtlos war und nur wenig über den meist schwarzen Sklaven fungierte, die sich die Aristokratie ebenfalls zum Vergnügen und aus Prestige hielt. Man kann sagen, de Sade war das etwas ungezogene Kind seiner Zeit, die noch während er lebte zu Ende ging.Denn erst die Moral erklärt das Opfer zum wertbaren, zu berücksichtigen Menschen. Ohne Moral verkommt dieser zum Objekt - und der Frage, ob dies freiwilig geschehen ist, wird keine weitere Bedeutung beigemessen. Diese verweigerte Kommunikation ist das eigentlich unmenschliche, und das wird auch immer unmenschlich bleiben und als unmenschlich deklariert werden.
Eben. Hinterher ist es immer leicht über das Vergangene zu urteilen. Aber die jeweiligen Zeitgenossen sahen und sehen kaum die Alternativen, sie sehen alles in ihrer Zeit als „normal“ an.Dass bedeutet nicht, dass die vorherrschende Moral - ob nun auf Sex beschränkt oder allgemein - immer richtig liegen und menschlich handeln würde.
Auch das ist ein Urteil im Nachhinein, denn die Zeitgenossen selbst sehen das nur selten. Und wenn sich die Zeiten ändern, wenn die andere Seite an Macht gewinnt, dann endet das auch oft in Exzessen – siehe die Schreckensherrschaft des Robespierre 1793/94 in Frankreich, Hitlers 1933/45 in Europa, Lenins und Stalins 1917/53 in Russlands und Osteuropa, Pol Pots in Kambodscha, etc.Ohne Moral aber gibts auch keine Richtung, in die sich die Gesellschaft bewegt. Was dann entsteht, nennt man im allgemeinen "Dekadenz" oder "Verfall".
Ja, wenn man die Mittel (Meiden) besitzt bzw. zu nutzen weiß, dann kann man dagegen arbeiten und einiges bewegen, z.B. bei Gesetzen. Aber die durch Kirche jahrhundertelang gepflegten und geförderten Ressentiments gegen Juden und Schwule sind bei uns dadurch nicht verschwunden – sie haben nur fast keine Stimme mehr.Letztendlich ist unser Staat auch nur Ausführender des Volksdenkens, den wir u.a. in Wahlen Ausdruck verleihen können. Der Totalitätsanspruch kommt hingegen fast immer von einer vorherrschenden Moral, aber es ist nicht so, dass man dieser Moral nicht entgegen arbeiten könne.
Wenn die Erotik tatsächlich nur Privatsache wäre, dann dürfte der Staat nicht bestimmen, was man schreiben, im Bücherschrank stehen oder was genau im Schlafzimmer geschehen darf. Erotik war noch nie Privatsache, denn gerade am Geschlechtsleben, das der Mensch am wenigstens kontrollieren kann, ist eben dieser Mensch zu packen: Das Wesentliche einer Freiheitstrafe ist nicht der Entzug der Freiheit, sondern die Unmöglichkeit, weiter sein Sexualeben zu leben – alles, was einem im Gefängnis bleibt, ist die Selbstbefriedigung und die Homosexualität, selbst wenn man heterosexuell ist.Erotik als Waffe? Ich denke eher, es ist eine Fluchtmöglichkeit. Sie kann ein Katalysator für vorurteilsfreies Denken sein, klar. Aber letztendlich ist sie Privatsache, und sollte keinesfalls politisiert werden.
Eben, das ist ja das Drama - weil Scheinheiligkeit Staatsräson ist. Beispiel: Tiersex und Sadomasochismus sind nicht verboten, man kann sie also ausüben, aber nicht in Bildern zeigen oder detailliert beschreiben, auch für Erwachsene nicht.Meine eigene Erfahrung ist nur, dass sich viele ihrer Scheinheiligkeit gar nicht bewusst sind
Ich halte das Essen mit Messer und Gabel nicht für einen kulturellen oder zivilisatorischen Fortschritt (auch Hitler und Stalin aßen so), sondern das Achten des Anderen in seiner Andersartigkeit. Kurz all das, was unser Grundgesetz in seinen Artikeln 1 bis 19 verlangt, aber von uns zum Teil nach wie vor missachtet wird, weil die Mehrheit dieses Volkes es so will. Beispielweise sagt das Gesetz „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“, aber darauf pfeifen zum Beispiel die Kirchen und entlassen Mitarbeiter, die sich haben scheiden lassen. Und der Staat schreitet nicht ein, was nebenbei noch ein weiteres Gesetz verletzt, das da sagt: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“David Byrne sagte mal "Zivilisation ist eine Religion", und ich denke auch, dass "die Zivilisation" im Prinzip die Emanzipierung von der Natur bedeutet. Dass man nicht wie ein Tier am Trog, sondern mit Messer und Gabel isst, ist so eine Emanzipation.
Nein, das Ganze ist das Ergebnis des christlichen Glaubens, wonach der Mensch die Krone der Schöpfung darstelle und über das übrige Teil der Schöpfung, die Natur, zu herrschen habe.Pornografie erinnert uns oftmals zu deutlich daran, dass wir von den Tieren abstammen. Man kann natürlich das Leben im Einklang mit der Natur und das Sich-wild-wie-ein-Tier-geben auch als eine Form von Kultur sehen. Doch Kultur unterliegt eben auch einem Moralbegriff, und die Moral der "Zivilisation" tendiert eben zur Emanzipation von der Natur.
Du verwechselst hier Technik mit Moral.Man muss sich keinesfalls zwingend anpassen, im Gegenteil, sich nicht anzupassen, führt oftmals zu den Ideen, die die Gesellschaft erst vorantreiben. Die ganze Geschichte der Computerindustrie in Amerika ist eine Geschichte der Unangepasstheit (sehr lesenswert in diesen Zusammenhang: "Unternehmen Zufall" von Robert X. Cringely).
Ja, und dafür oft einen hohen Preis zahlen müssen.Es sind oftmals die Unangepassten in einer Gesellschaft, die den Mut haben, Veränderungen herbeizuführen.
Das hat mehr mit dem Alter zu tun: Die Musik der Jugendjahre prägt einen.Die Geschichte der meisten wirklich guten englischen Bands der 80er Jahre ist eine einzige Geschichte der Unangepasstheit, was für mich mit einer der Gründe ist, warum ich Musik damals viel intensiver erlebt habe als heute, wo selbst das angeblich Unangepasste für mich oft wie ein und dasselbe wirkt.
Ja, aber diese Moral darf nur die des Autors sein, darf nicht von anderen vorgeschrieben sein.Also nochmal: auch eine Fantasie unterliegt einer Moral.
Jetzt argumentierst du wie ein Propagandaminister aus vergangenen Zeiten.Die Moral der DDR, mit der die Wirklichkeit verklärt oder ausgeblendet wurde, lautete: Wer den Sozialismus kritisiert, will ihn nicht wirklich, und zersetzt damit die Moral derjenigen, die aktiv an ihm arbeiten. Und seien wir ehrlich: das war auch meistens so.
Nein, wie die DDR alles Kapitalistische bekämpfte, so auch die BRD alles Sozialistische – Fußballvereine durften sich z.B. nicht „Dynamo ….“ nennen, ein Kommunist durfte nicht Lokomotivführer sein. Gleiches galt auch für Lehrer: Wer bei einer Friedensdemo mitmachte, stand moralisch nicht auf der richtigen Seite und durfte dann kein Staatsbeamter werden, was nebenbei auch gegen GG verstieß und weiter verstößt.In der DDR wurde es logischerweise vom Staat bekämpft, in der BRD logischerweise gefördert.
Das alles ist jedem bekannt, trotzdem wird diese Verhalten von der großen Mehrheit wenn nicht gutgeheißen so doch wohlwollend toleriert.Es ist nur logisch, dass Vertreter der jeweiligen Moral derartiges versuchen. Ich selbst halte es nur für sinnvoller, Moralansätze und die Mittel ihrer Durchsetzung auf ihre Effektivität zu überprüfen, bevor ich sie kritisiere.
Zensur ist für mich der Versuch des Staates, auch die Gedanken der Bürger kontrollieren zu wollen.Ja, wir haben auch eine Zensur, die obendrein willkürlich ist. Das schlimme ist halt nur, dass diese Willkürlichkeit aus reiner Effizienz stattfindet. Würde sie aus ideologischen oder Gegenmoral-Gründen stattfinden, wäre es einfacher, sie zu kritisieren und ihre Abschaffung zu fordern.
Nein, entfiele die Zensur, wären nicht nur wir, sondern auch unsere Gedanken wirklich frei, denn man könnte sie dann auch äußern.Das Gegenteil davon wäre entweder keine Zensur - worunter auch Nazi-Literatur fallen würde - oder Paragraphen-Zensur, die genau festlegt, ab welcher Anzahl des Wortes "Ficken" ein Text als pornographisch zu gelten hat.
Wenn man sich die Zensur wie eine Kette oder Käfig vorstellt, an die man ein Leben lang gebunden war oder in ihr lebte, dann kann man deinen Standpunkt verstehen. Als es im 19ten Jahrhundert um die Befreiung der Sklaven ging, wollte einige Sklaven auch nicht befreit werden: Sie wollten weiter ihrem Herren dienen, wollten nicht für sich selbst verantwortlich sein – weil sie Angst davor hatten.Meine eigene Moral sagt, dass es völlig ohne Zensur nicht geht bzw nicht wünschenswert ist, dass die Zensur in Deutschland aber gerade in Punkto Persönlichkeitsrechten masslos übertrieben ist.
Dieses Beispiel ist natürlich weit überzogen, aber es verdeutlich schon auch deine Situation: Du hast noch nie in einem Staat ohne Zensur gelebt, wie kannst du wissen, wie es sich ohne Zensur lebte?
PS: Das Thema Moral und staatliche Zensur können wir auch in dem Thread Bundestrojaner weiter Diskutieren, denn diesen Thread hier haben die üblichen Spamer ohnehin versaut.
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